Alle Macht den Logistikdienstleistern?
Wer in der vergangenen Weihnachtszeit versucht hatte, einem Familienmitglied oder einem Freund mit einem neuen Fahrrad eine Freude zu bereiten, musste bei der Geschenkesuche höchstwahrscheinlich umdisponieren. Die angegebenen Lieferzeiten fielen oftmals ins erste Quartal – 2023, nicht 2022.
Nach wie vor sind die weltweiten Supply Chains durch Corona stark eingeschränkt, vor allem durch die Schließungen verschiedener asiatischer Häfen, aber auch Fabriken. Auch professionelle Einkäufer, die ihre Ware vor Monaten bestellt haben, warten vielerorts noch auf ihre Lieferung, die eigentlich längst im Hamburger Hafen hätte eintreffen müssen. Tatsächlich jedoch stauen sich die Container und Containerschiffe an den Heimathäfen, weil nicht aufgeladen werden kann.
Für die Lagerlogistik im Hinterland ergeben sich dadurch gleich mehrere Probleme. Entweder die Ware trifft überhaupt nicht ein, sodass Produktionsabläufe stillstehen oder Ladenregale leer bleiben – oder aber die Ware wird plötzlich und unvorbereitet geliefert. Gerade in Branchen wie der Textilindustrie sind die bestehenden Lagerflächen noch mit älterer Saisonware gefüllt, die aufgrund der Corona-Beschränkungen im stationären Einzelhandel nicht wie geplant abverkauft werden konnte. Tatsächlich gibt es bereits Beispiele, in denen das ältere Lagergut vernichtet wurde, um Platz für neue Waren zu schaffen.
Hohe Nachfrage nach Logistikdienstleistungen
Damit es nicht zu solchen Extremfällen kommt, suchen immer mehr Verlader – inzwischen händeringend – nach Möglichkeiten, externe Logistikkapazitäten in Anspruch zu nehmen. Doch auch die meisten Dienstleister sind inzwischen an die Grenze des Leistbaren gekommen. Eine Losgröße von mehr als 1.000 Paletten kann von kaum einem Anbieter abgedeckt werden. Hinzu kommt, dass viele Verlader aktuell vor allem akut nach Lösungen suchen, die dazugehörigen Dienstleister jedoch an langfristigeren Kooperationen interessiert sind. Kein Dienstleister käme wohl auf die Idee, seine Kapazitäten nur für vier oder sechs Wochen bereitzustellen. Der realistische Mindestzeitraum liegt bei zwei bis drei Monaten – und wird sich bei anhaltenden Kapazitätsengpässen eher verlängern als verkürzen.
Hinzu kommt außerdem, dass verschiedene Warengruppen für Logistikdienstleister auch unterschiedlich attraktiv sind. Gerade Gefahrgut oder komplexe Waren, die hohe Lagerkosten verursachen, werden von den entsprechend spezialisierten Dienstleistern bevorzugt gelagert, während Güter, die nur geringe Lagerkosten verursachen, schwerer einen Palettenstellplatz finden. In der Marktrealität zeigt sich zudem, dass die Reputation der Kunden wichtig für den Dienstleister ist: Während international renommierte Konzerne leichter einen Dienstleister finden, stehen vor allem mittelständische Verlader oft vor größeren Herausforderungen.
Die Dienstleister suchen sich ihre Verlader aus
Grundsätzlich zeigt sich, dass die Verhandlungsmacht aktuell klar aufseiten der Logistikdienstleister liegt: Während sich diese vor fünf Jahren noch bei den Verladern um Aufträge bewerben und nicht selten Incentives ausgeben mussten, ist die Situation jetzt umgekehrt. Zudem sollten sich Verlader darauf einstellen, dass die Dienstleistungskosten in den kommenden Jahren weiter steigen. Dies hängt nicht nur mit der tendenziellen Preissetzungsmacht der Logistikdienstleister zusammen, sondern auch mit der Tatsache, dass sich die Mietniveaus für Logistikimmobilien in vielen deutschen Top-Logistikregionen weiter erhöhen. Diese Preise muss der Dienstleister zumindest anteilig weitergeben.
Doch trotz dieser doppelt angespannten Situation mit unterbrochenen Lieferketten und begrenzten Dienstleisterkapazitäten gibt es für Verlader durchaus Möglichkeiten, kurzfristig zu reagieren. Ein praktikables Beispiel besteht darin, einzelne Chargen auf verschiedene Lagerplätze und Dienstleister aufzuteilen. Dafür ist jedoch eine ausreichende Marktvernetzung oder aber eine intensive Vermittlerarbeit nötig. Gerade Letzteres kann von externen Experten übernommen werden, welche die Anfrage zentral koordinieren – und dafür sorgen, dass der Verlader nicht jeden Dienstleister einzeln anrufen muss. Zudem kann ein Vermittler, der sowohl die Bedürfnisse von Logistikdienstleistern als auch von Verladern kennt, dabei helfen, eine gemeinsame Grundlage für eine langfristige Kooperation zu schaffen (z. B. Verträge über drei Jahre mit Option auf Verlängerung). Denn letztlich können beide Seiten von einer mehrjährigen Partnerschaft auf Augenhöhe nur profitieren.
Ausblick: Vor-Ort-Produktion und mehr Kooperation
Viele Verlader treffen inzwischen Vorkehrungen, um sich weniger abhängig von Just-in-Time-Lieferungen zu machen und stärker auf regionale Lieferketten zu setzen. Ein eng damit verbundener Schritt ist der Trend zur Vor-Ort-Fertigung, dadurch wächst der Bedarf an Pufferlagern, um stets genug Materialien und Waren vorrätig zu haben. Eine solche Strategieumstellung ist allerdings eine Aufgabe, die mehrere Jahre benötigt. Letztlich jedoch werden viele Verlader diese Pufferlager nicht selbst betreiben, sondern wiederum die Services eines Spezialisten in Anspruch nehmen. Hierbei ergibt sich ein möglicher Ausgangspunkt für künftige Kooperationen – weshalb Verlader und Dienstleister bei ihren aktuellen Verhandlungen stets auch die möglichen Szenarien mitbedenken sollten. Oder mit anderen Worten: Nicht immer kommt es auf kurzfristigen Gewinn beziehungsweise kurzfristige Kosten an, eine Kooperation von heute kann die Strategie von morgen unterstützen. Andererseits können und sollten auch die Logistikdienstleister prüfen, wie sich über Unternehmensgrenzen hinweg Synergien schaffen lassen, um anstatt von Konkurrenzdenken gemeinsames Wachstum zu ermöglichen.