Unter Strom – die Automobilindustrie befindet sich auf dem Weg in ein neues Zeitalter
Der Klimawandel zwingt auch die Automobilbranche zu einem Systemwechsel: Das Ende des Verbrennungsmotors ist nahe, die Zukunft heißt Elektromobilität. Das verändert alles, von der Herstellung bis zur Logistik.
Im Zuge des Genfer Autosalons des Jahres 1980 wurde ein damals spektakuläres Modell vorgestellt. Audi präsentierte den „quattro“. Das war ein kantiges geschnittenes Coupé mit 200 PS und bot Allradantrieb quasi für jedermann. Anfangs wurde dieses Modell nur in einer kleinen Auflage produziert, später avancierte es zum Verkaufsschlager, 1991 war Produktionsende.
Allradantrieb ist längst nichts Besonderes mehr, denn spätestens 1994, als mit dem Toyota „RAV4“ der erste SUV auf den deutschen Markt kam, begann der Siegeszug dieses neuen Modelltyps, der diese Antriebsart nutzt. Der Geländewagen ist aus dem deutschen Straßenbild nicht mehr wegzudenken.
2035 ist das entscheidende Jahr
Und mehr als zwanzig Jahre nach Ende des „quattro“ geht es auch bei Audi um mehr als nur ein neues Modell – es geht vielmehr um einen Systemwechsel. Die Automobilindustrie bereitet sich auf das Ende des Verbrennungsmotors vor. Alle Kraft gilt der Elektromobilität. Die Bundesregierung hat das Ziel ausgegeben, dass bis zum Jahr 2030 in Deutschland sieben bis zehn Millionen E-Fahrzeuge zugelassen werden. Ab 2035 sollen in der EU überhaupt keine Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden.
Folglich erhöhen die Hersteller das Tempo: Allein Audi will schon bis zum Jahr 2025 30 elektrifizierte Fahrzeugmodelle anbieten, davon 20 reine Elektroautos. Dafür entstehen neue Bündnisse, an die man 1980 nicht zu denken gewagt hätte, wie etwa das von Audi und dem Energiekonzern RWE – für ein zweites Leben von Autobatterien: RWE hat in Herdecke (Nordrhein-Westfalen) in einer Leichtbauhalle einen Energiespeicher zur Wiederverwendung von Lithium-Ionen-Batterien aus „Audi e-tron“-Modellen in Betrieb genommen. Die gelieferten Altbatterien haben noch eine Restkapazität von mehr als 80 Prozent.
60 etwa 700 Kilogramm schwere Batteriemodule sollen dafür sorgen, dass in dem Werk circa 4,5 Megawattstunden zwischengespeichert werden können.
Automobilhersteller wollen neuerdings Klimaschützer sein
Auch bei Opel stehen die Zeichen auf E-Mobilität. Ab 2028 will der Traditionshersteller in Europa nur noch Elektroautos anbieten. BMW wiederum hat das Ziel, bis 2030 sieben Millionen E-Autos auszuliefern, davon zwei Drittel vollelektrisch. Der VW-Konzern plant gar, bis dahin 22 Millionen E-Autos zu bauen, und bei Mercedes-Benz soll bis zum Ende dieses Jahrzehnts jeder zweite Neuwagen einen Elektromotor haben. Ziel des schwäbischen Autobauers: Bis 2030 soll der CO₂-Ausstoß pro Neuwagen über den gesamten Lebenszyklus um mindestens 50 Prozent im Vergleich zum Jahr 2020 reduziert werden.
Mercedes-Chef Ola Källenius fordert im Kampf für Klimaschutz maximales Engagement und mehr Zusammenarbeit zwischen der Politik, der Wirtschaft und der gesamten Gesellschaft. Das ist ein völlig neuer Anspruch an die eigene Branche, die ihre Autos einst mit Slogans bewarb wie „Aus Freude am Fahren“ (BMW), „Er läuft und läuft und läuft“ („VW Käfer“) oder „Technik, die begeistert“ (Opel).
Noch prägen enorme Lieferkettenprobleme die Branche
Doch wie steht es um den deutschen Automobilmarkt insgesamt? Gemäß Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wurden 2021 in Deutschland 2,62 Millionen neue Autos zugelassen – im Vorjahr waren es noch 2.917.678, auch schon 19,1 Prozent weniger als 2019. Erst wegen der Coronapandemie und dann wegen des Ukraine-Kriegs sind globale Produktions- und Lieferketten gerissen. Die Folge ist ein eklatanter Mangel an Halbleitern, der so schnell nicht behoben sein wird. Und ohne Halbleiter (Chips) können die Autos nicht fertiggestellt werden. Daher sagt der Automobilexperte Professor Ferdinand Dudenhöffer erst für 2023 einen Aufschwung der Branche vorher.
Trotzdem kommt der Markt für E-Autos rasant in Schwung. 2021 wurden gemäß KBA 355.961 Modelle mit Stromantrieb zugelassen – 83,3 Prozent mehr als 2020. E-Autos haben demnach schon einen Marktanteil von 13,6 Prozent. Immer mehr neue Hersteller setzen die deutschen Traditionsautobauer unter Druck: Allen voran Tesla, aber es gibt auch Polestar (Joint Venture der Autohersteller Volvo und Geely) und kleine Newcomer wie e.GO aus Aachen. Und aus Asien drängen neue Hersteller wie Hyundai (Südkorea unter anderem mit dem neuen E-Modell „Genesis“) immer stärker auf den deutschen Markt. Dazu wird die Branche belebt durch neue Produzenten wie NIO (China).
Gamechanger Tesla produziert in Brandenburg
Der Gamechanger für die Automobilindustrie ist allerdings Tesla. 2021 verkaufte der US-amerikanische Autobauer weltweit 936.200 Autos – so viele wie nie zuvor. Und die im März in Grünheide (Brandenburg) eröffnete Gigafactory ist das erste europäische Tesla-Werk, was deutlich macht, wie ernst das Unternehmen von Chef Elon Musk den Markt hierzulande nimmt.
Und dieser Markt wird rasant modernisiert. Neue Automobiltechniken verlangen neue Fabrikhallen, Logistiknetzwerke und Zulieferbetriebe. Denn für die Batterie als Herzstück der E-Autos müssen neue Werke nicht nur für Produktion, sondern auch für Recycling aus dem Boden gestampft werden. Tesla baut in Grünheide die Batterien für die eigenen Autos gleich mit.
Ausländische Batteriehersteller drängen auf den deutschen Markt
Das ist sinnvoll, denn bisher wurde der Weltmarkt für Autobatterien von asiatischen Herstellern wie Panasonic (Japan) und vor allem CATL (China) dominiert. Letzterer errichtet bei Arnstadt (Thüringen) ein Werk für etwa 2.000 Beschäftigte und möchte die Produktion dort noch 2022 beginnen. Der Volkswagen-Konzern baut nun das Motorenwerk in Salzgitter (Niedersachsen) zum Zentrum der Batterieforschung aus und errichtet an diesem Standort eine von sechs Gigafactories für die Batteriezellenherstellung. BMW produziert seit 2021 im Werk in Leipzig Batteriemodule in Serie, eine weitere Produktionslinie soll im Mai 2022 in Betrieb genommen werden.
Parallel entstehen Werke für das Batterierecycling sowie Standorte für die Batterielogistik. Zwei Beispiele: Der belgische Recyclingspezialist Umicore hat aus seinem größten deutschen Standort in Hanau (Hessen) einen Forschungsstandort für saubere Technologien (Autoabgaskatalysatoren, Batterierecycling und Brennstoffzellen) gemacht. Der Logistiker Elflein wiederum betreibt in Leipzig in einer Halle mit 10.000 Quadratmeter Fläche einen Standort für Batterielogistik, an dem täglich Akkus aus bis zu 20 Sattelzügen umgepackt und verladen werden können.
Autoexperte Dudenhöffer sieht die deutschen Autohersteller im Bereich E-Mobilität vor einer guten Zukunft. Gäbe es Tesla nicht, sagte der Professor einmal in einem Interview mit dem Magazin „Börse Online“, wäre Volkswagen „weltweit Benchmark“. 2022 könnte der Konzern demnach Weltmarktführer werden.
Das neue Autozeitalter hat begonnen.