Die Logistikbranche als Innovationstreiber
Logistik ist vor allem seit der Coronapandemie eine Branche im Dauerwachstumsmodus. Die Konsumenten kaufen immer mehr im Internet ein. Der deutsche Onlinehandel setzte dem Handelsverband Deutschland zufolge im Jahr 2020 etwa 73 Milliarden Euro um, das waren 23 Prozent mehr als 2019. Auch ein Merkmal der Pandemie: Noch nie gab es in Deutschland so viele Start-ups, die mit Bringdiensten ein Stück vom großen Umsatzkuchen des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland (2020 ca. 180 Milliarden Euro) abhaben wollen. Getir, Flink, Gorillas und all die anderen buhlen in den Metropolen mit Lieferzeiten von zehn Minuten um Kunden und erproben neue Logistikkonzepte und -standards. Was aber noch mehr Auswirkungen hat: Das weltweite Logistiknetz kommt in der Pandemie an seine Belastungsgrenze und darüber hinaus. Die steigende Logistiknachfrage sowie globale Lieferkettenprobleme erzwingen neue Logistiklösungen – sowohl beim Transport, bei der Lagerung (Pufferlager sind stark nachgefragt) als auch beim Betrieb der „letzten Meile“, also der Belieferung an den Endkunden.
Neue Lösungen für die Logistik gesucht
Je größer der Bedarf an Logistikleistungen ist, desto mehr und größere Immobilien werden als Lager und Verteilzentren benötigt. Doch diese Nachfrage kollidiert mit dem zunehmenden Flächenmangel. Bis zum Jahr 2025 wird in Deutschland insgesamt vier Millionen Quadratmeter Fläche zusätzlich benötigt, lauten Prognosen. Gesucht werden gemäß Michael Starre, CSO bei Logivest, Mega-Hubs mit mehr als 100.000 Quadratmeter Fläche, Regionallager mit 30.000 bis 50.000 Quadratmetern und schließlich Delivery-Stationen in den „Speckgürteln“ der Metropolen, etwa 10.000 Quadratmeter groß. Doch das Flächenangebot kann damit kaum noch Schritt halten. Also müssen kreative Lösungen forciert werden, um
- die bestehenden Immobilien zu optimieren und
- die verbleibenden Flächen so gut wie möglich zu nutzen.
Vier Lösungsansätze gibt es.
1. Automatisierung von Logistikzentren:
Solche Lager eigenen sich bei großen Mengen an umgesetzter Ware und im Dauerbetrieb (24 Stunden an sieben Tagen). Die Automatisierung reduziert menschliche Arbeitszeit/-kraft und erhöht die Sicherheit im Lager bei gleichzeitiger Minimierung der Fehler (etwa bei der Zusammenstellung der Order). Allerdings erfordern automatisierte Lager enorme Anfangsinvestitionen. Bedeutende Automatiklager gibt es etwa von der Schweizer Coop, die bereits vor einigen Jahren in Schafisheim eine Verteilzentrale für Tiefkühlprodukte (Backwaren) eröffnete.
Amazon wiederum nutzt Roboter in den Verteilzentren in Winsen an der Luhe, Mönchengladbach und Frankenthal, welche die Ware von einem Ort zum anderen befördern, also vom Regal zu einem „echten“ Mitarbeiter, wo sie wiederum verpackt wird. Durch diese Technologie kann der Platz im Logistikzentrum besser genutzt werden. Mehr Ware pro Fläche, so lautet die einfache Formel.
2. Logistikzentrum in die Höhe oder in die Tiefe bauen:
In Paris, nahe dem Bahnhof Gobelin, soll bis 2025 ein unterirdisches Logistikzentrum mit insgesamt 75.000 Quadratmeter Fläche entstehen, von dem aus die Warenverteilung in der französischen Hauptstadt organisiert werden soll. Vorteil: Der Flächenverbrauch ist gering, überirdisch lassen sich Wohnungen und Gewerbeeinheiten entwickeln. Nachteil: Der Erdaushub für ein solches Objekt ist enorm, die Kosten sind entsprechend hoch.
Ebenfalls in Paris gibt es das „Air2“, eine zweigeschossige Distributionsplattform mit 63.000 Quadratmeter Lagerfläche, wovon IKEA 50.000 Quadratmeter und der Gartenhändler Leroy Merlin den Rest mieten. Das erste Geschoss ist dort mit dem zweiten durch eine zehn Meter breite Rampe verbunden.
Und in Deutschland? Hier geht FOUR PARX in Hamburg in die Höhe. Der Projektentwickler errichtet im Industriegebiet Wilhelmsburg eine Doppelstock-Immobilie. Diese Brownfieldentwicklung auf dem Areal eines früheren Getränkeherstellers soll 123.000 Quadratmeter Fläche für Gewerbe, Logistik und Produktion bieten. In diesem in Deutschland bisher einzigartigen Objekt können Lastwagen bis 45 Tonnen über zwei beheizte Rampen das obere Stockwerk anfahren. Die Hallenhöhe in beiden Etagen beträgt jeweils 10 Meter UKB.
Noch imposanter ist das „Interlink Hongkong“-Logistikhochhaus in Hongkong. Es verfügt über 24 Stockwerke und rund 224.000 Quadratmeter Lagerfläche. Bis zur 15. Etage können Lkw die Ware transportieren, in höhere Etagen wird das Gut per Lastenaufzug befördert.
Vorteil der mehrgeschossigen Bauweise: Auf derselben Grundstücksfläche lassen sich mehrere Hallenflächen realisieren. Nachteil: Die Drittverwendung so einer Immobilie ist eingeschränkt.
3. Automatisierte Hochregallager:
Sie sind ideal für eine optimale Nutzung des Raums und bieten Platz für große Lagermengen. Mit Höhen von 12 bis sogar 50 Metern gewährleisten solche Lager enorme Kapazitäten, weil die Fläche optimal ausgenutzt wird. Mithilfe von Automatisierung lassen sich Lagerung und Verteilung der Waren effizient organisieren. Ausgeklügelte Regalsysteme gestatten hunderttausend und mehr Palettenstellplätze. Solche Lager erlauben zudem ein optimales Ausnutzen der Grundstücksfläche. Im Gegensatz zu nicht automatisierten Lagern haben automatisierte Objekte miteinander vernetzte Bausteine, die das Ein- und Auslagern sowie das Bereitstellen der Ware übernehmen und dadurch kostbare Arbeitsschritte übernehmen. Vorteil: platz- und arbeitskostensparend. Nachteil: hohe Investitionskosten.
4. Unterirdische Transportsysteme:
Unterirdische Logistik kann auch anders gestaltet werden, wie Kuno Neumeier, CEO von Logivest, erklärt. Das schweizerische Projekt „Cargo Sous Terrain“, das eine „Güter-U-Bahn“ plant, mache demnach Fortschritte. Ab 2031 soll ein unterirdisches Röhrensystem die Zentren der Schweiz verbinden. Das deutsche Pendant ist das Hyper-Port-Konzept am Hamburger Hafen, bei dem ein unterirdischer Warentransport in die Innenstadt auf Basis der Hyperloop-Technologie geplant ist. Dabei sollen pro Tag bis zu 2.800 Container fast mit Schallgeschwindigkeit transportiert werden.